Die Serie von Leinwänden der Evgenia Maltseva „Brutality“ ist eine Aussage über die Unmöglichkeit, ein Mensch zu sein, ohne zu leiden. Es ist die ewige Spaltung und Zerreißung des Menschen, die entsteht, wenn er mit der grausamen Realität des Daseins konfrontiert wird, und die in uns die Menschlichkeit gebiert. Maltsevas Weltanschauung steht der antiken Tragödie nahe, die einen Helden verherrlicht, der die Herausforderung des gnadenlosen Schicksals annimmt und sich ihm widersetzt, obwohl er weiß, dass es sinnlos ist. Beim Blick in die Tiefen des Menschlichen lässt sich die Künstlerin von der Dramaturgie der antiken skulpturalen Plastizität inspirieren, die sie als Verkörperung des Konflikts zwischen den dionysischen und apollinischen Prinzipien interpretiert.

Bei der Arbeit an „Brutality“ gleicht Evgenia selbst einer antiken Pythia, die in einem Zustand kreativen Trance zusammenhanglose Prophezeiungen ausspricht. Dem göttlichen Geschenk der Weissagung folgend, erlaubt sie sich die Spontaneität künstlerischer Rede. Die Künstlerin ergibt sich vollständig der Macht der Energien, die sie ergriffen haben, und sie beginnen, ihre Hand mit dem Pinsel zu führen. Impulsive Pinselbewegungen entfachen allmählich ein Feuer aus Linien und Farbflecken, die sich auf wundersame Weise in lebendige, atmende Formen verwandeln. Die Farbe, die sich über die Oberfläche der Leinwand ausbreitet, verwandelt sich in schimmernde Bild-Prophezeiungen, die sich zum Drama des menschlichen Schicksals zusammensetzen. In diesen flackernden Visionen wird etwas erahnt, erkannt, und etwas bleibt verborgen. Evgenia Maltseva eröffnet „Brutality“ mit ihrem Selbstporträt. Dies ist das einzige Werk im Zyklus, das Ruhe und Entspannung ausstrahlt. Wie eine Stimmgabel erlaubt es uns, die Stärke der Verzweiflung eines Menschen in den anderen Leinwänden der Serie zu messen. Die sanfte, schmachtende Intonation des Selbstporträts wird als Personifikation der Versuchung oder berauschenden weiblichen Schönheit gelesen, die einen Mann im Strudel leidenschaftlicher Liebe gefangen nehmen und zerstören kann. Im Zyklus „Brutality“ sind männliche Torsi von einem Zustand fataler Verzückung ergriffen, in dem ungezügelte Sinnlichkeit und ein Schrei der Hoffnungslosigkeit vereint sind. Leidenschaft, im Körper gefangen, rast umher und lässt den Menschen leiden. Gleichzeitig überwinden die Figuren in Maltsevas Gemälden den Schmerz und setzen heroisch den Widerstand gegen den Ansturm der dionysischen Energie fort, obwohl sie bereits verstehen, dass sie dem Schicksal nicht entkommen können...

Die schimmernden, sich windenden Formen ähneln antiken Statuen mit zerbrochenen Körperteilen – wie der berühmte Belvedere-Torso. Sie sind zugleich schön und entstellt. Ihre Unversehrtheit ist gebrochen, was bedeutet, dass es keinen Frieden gibt. Das Abschneiden von Körperteilen ist Evgenia Maltsevas bevorzugte künstlerische Technik. Der Körper scheint zerrissen zu sein durch die Unfähigkeit, seine Emotionen, Gefühle und Schmerzen auszudrücken. Brüche, Absplitterungen und Schnitte werden emotional als Wunden wahrgenommen, die nicht so sehr dem Körper, sondern der Seele zugefügt sind. In „Brutality“ ist der verwundete Körper eine Metapher für eine verwundete Seele. Der gekrümmte Körper scheint zu versuchen, den Schlägen und Pfeilen des grausamen Schicksals zu widerstehen. Und die angespannten Muskeln und Sehnen sind zu einem unlösbaren gordischen Knoten des Schicksals gebunden.